ME Saar übernimmt Pilotabschluss
Tarifpartner zeigen, dass sie sich auf einen verantwortungsvollen Kompromiss einigen können
Die Verhandlungsgemeinschaft M+E MITTE und die IG Metall Mitte haben sich für die rund 380.000 Beschäftigten der Metall- und Elektro-Industrie in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland auf die Übernahme des Pilotabschlusses geeinigt, den die M+E-Arbeitgeber im Norden und Bayern wenige Tage zuvor mit der Gewerkschaft verhandelt haben. Für ME Saar war der der Tarifpolitische Sprecher und Präsident, Oswald Bubel, vor Ort, die IG Metall verhandelte unter der Leitung von Jörg Köhlinger, Leiter des Bezirks Mitte. Die Einigung bedarf noch der Zustimmung der zuständigen Gremien beider Seiten.
Zu der Einigung sagt Oswald Bubel, Tarifpolitischer Sprecher und Präsident von ME Saar: „Unsere Industrie befindet sich in einer schweren strukturellen Krise. Seit 2018 dauert die Rezession an, Impulse aus der Politik für die Wirtschaft bleiben aus. Durch das Scheitern der Regierungskoalition erleben wir nun weitere Monate des Stillstands. Das ist eine schwierige Lage mit ungewissem Ausgang.“ In dieser kritischen Lage habe sich die Tarifautonomie bewährt. „Durch ihr verantwortungsvolles Handeln haben die Tarifparteien gezeigt, dass sie Lösungen finden und Kompromisse schließen können. So haben wir mit unseren Möglichkeiten zur Stärkung des Standorts Deutschland beigetragen.“
Ralph Wangemann, Verhandlungsführer M+E MITTE, ergänzt: „Natürlich ist ein Kompromiss immer auch mit Zugeständnissen verbunden. Die Entgelterhöhung verlangt vielen unserer Mitgliedsunternehmen einiges ab oder geht an die Grenze des wirtschaftlich Machbaren, hinzu kommt noch die Einmalzahlung. Wir sind daher sehr froh, dass wir mit der Fortschreibung und Volumenerhöhung der automatischen Differenzierung für Stabilität und mit der 25-monatigen Laufzeit des Tarifvertrags für Planbarkeit in den Betrieben sorgen können. Und mit der überproportionalen Anhebung der Auszubildendenvergütung hoffen wir auch das Interesse an einer dualen Ausbildung in unserer Industrie zu stärken. Wir haben uns trotz der schwierigen Lage auf einen verantwortungsvollen Kompromiss einigen können, zielorientiert und zügig.“
Pilotabschluss im Norden und Bayern erzielt
Lange Laufzeit garantiert Planungssicherheit
In den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie 2024 haben Nordmetall und der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie bei knapp 18-stündigen Verhandlungen in Hamburg einen Pilotabschluss erzielt.
Die Einigung sieht vor:
- Erhöhung der Auszubildendenvergütungen zum 01.01.2025 um 140 Euro
- Einmalzahlung von 600 Euro zum 01.02.2025, die von den Unternehmen auf Dezember 2024 vorgezogen werden kann
- Tabellenerhöhung von 2,0 % zum 01.04.2025
- Erhöhung des T-ZUG (B) von 18,5 % auf 26,5 % in 2026
- Tabellenerhöhung von 3,1 % zum 01.04.2026
- Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum 31.10.2026, also von insgesamt 25 Monaten.
Die automatische Differenzierung erlaubt es Unternehmen in wirtschaftlich schwieriger Lage, die Belastungen rasch und unbürokratisch zu mildern. Die Auszahlungszeitpunkte von T-ZUG (B) und Transformationsgeld werden getauscht und das Transformationsgeld steht in vollem Umfang für die Differenzierung nach den bisherigen Kriterien zur Verfügung.
Bei den Freistellungstagen wurde die bestehende Regelung modifiziert: Neben einigen Vereinfachungen im Verfahren für Schichtbeschäftigte können in Zukunft auch Teilzeitbeschäftigte in den anspruchsberechtigten Gruppen von den Freistellungstagen Gebrauch machen. Die Einigung erlaubt bei Pflegenden und Eltern von Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr eine zusätzliche Option auf 3 mal 6 Tage. Gleichzeitig wurden die Kompensationsmöglichkeiten ausgeweitet. Ist eine Kompensation nicht möglich, kann der Arbeitgeber die Freistellung wie bisher ablehnen.
Oswald Bubel, Tarifpolitischer Sprecher und Präsident des Verbands der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes sieht den Abschluss als einen herausfordernden Kompromiss: "Diese Einigung ist für die Unternehmen in der aktuellen wirtschaftlichen Lage ein Kraftakt. Durch die lange Laufzeit von 25 Monaten erhalten sie jedoch Planungssicherheit, das ist in dieser Zeit sehr wichtig. Jetzt streben wir eine zeitnahe Übernahme des Pilotabschlusses für die Metall- und Elektroindustrie im Saarland an.“
Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf begrüßte die Einigung und erklärte, es sei keine Selbstverständlichkeit, dass man trotz fundamental gegensätzlicher Positionen und Überzeugungen einen Kompromiss finde, der für beide Seiten akzeptabel sei.
Allerdings gebe es keinen Anlass zur Euphorie: „Mit diesem Abschluss haben wir die Arbeitskosten erhöht. Die Arbeitgeber haben Abschluss auch deshalb zugestimmt, weil die Belastungen über die lange Laufzeit gerade noch verkraftbar sind und sie den Unternehmen die dringend notwendige Planungssicherheit verschafft. Zudem ist die automatische Differenzierung beibehalten worden. Das ausgeweitete Differenzierungsvolumen hilft, die Belastungen für Unternehmen in schwieriger Lage zu mindern.
Wie entwickelt sich die Konjunktur der M+E-Industrie?
Standortkrisen halten M+E-Industrie in Rezession - Stimmung immer desolater
Die deutlich verschlechterten Standortbedingungen hemmen die Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten. Gleichzeitig lassen diese die Investitionen im Inland wegbrechen. Die M+E-Industrie ist massiv von den Folgen der Standortkrisen betroffen.
Im August brachen die Neuaufträge um 7,2 Prozent zum Vormonat ein. Die temporäre Stabilisierung im Juni und Juli war Folge einzelner Großaufträge. Der Abwärtstrend ist dagegen nach wie vor ungebrochen: Die M+E-Firmen bewerteten Nachfrage und Auftragsbestand im September nochmals deutlich schlechter. Die M+E-Produktion konnte sich saisonbereinigt im August stabilisieren, was aber am zeitigen Ferienende einiger Bundesländer begründet war. Dennoch ist das sechste Rezessionsquartal in Folge absehbar. Die Produktionspläne wurden im September aufgrund der anhaltend schwachen Auslastung nochmals abwärtskorrigiert.
Der Abwärtstrend bei Umsatz und Absatz wurde im August zwar gebremst, wozu wie bei der Produktion zeitige Werksferien an einigen Standorten beitrugen. Der Umsatz lag von Januar bis August dennoch um 4,5 Prozent und der preisbereinigte Absatz um 6,1 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Trotz robuster Weltkonjunktur sind die Auslandsumsätze spürbar gesunken und die Exportaussichten der M+E-Firmen weiter abwärtsgerichtet.
Die Zahl der M+E-Beschäftigten lag im August um 0,8 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Der absolute Rückgang zum Vorjahr hat sich im Vergleich zum Juli auf 31.000 Beschäftigte fast verdoppelt. Die Beschäftigtenpläne wurden im September zudem nochmals deutlich nach unten korrigiert, womit sich der Personalabbau trotz anhaltender Fachkräfteengpässe weiter verschärfen wird.
Das M+E-Geschäftsklima verschlechtert sich weiter sukzessive und fiel im September auf den tiefsten Stand seit Juni 2020. Die M+E-Firmen bewerteten sowohl die aktuelle Lage als auch den Ausblick für die nächsten Monate nochmals negativer. Auch der Lkw-Verkehr gibt weiter nach. Eine Stabilisierung oder konjunkturelle Trendwende sind damit weiterhin nicht in Sicht.
Diese und weitere Zahlen finden Sie im Konjunkturbericht von Gesamtmetall.
ME-Saar-Präsident fordert eine Agenda 2030
Neben Oswald Bubel übt auch Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf deutliche Kritik an der Politik
ME-Saar-Präsident Oswald Bubel hat auf der Mitgliederversammlung umfassende Reformen in Deutschland gefordert. Angesichts der Wachstumsschwäche im Land brauche es jetzt ein Aufbruchssignal der Politik: „Das letzte politische Reformvorhaben war die Agenda 2010. Das ist 20 Jahre her. Wir brauchen jetzt eine Agenda 2030, die Deutschland eine Rosskur verordnet, aus der es dann gestärkt hervorgeht“, sagte der ME-Saar-Präsident im Saarbrücker Schloss.
Anders als die anderen großen Industrienationen erlebt Deutschland aktuell eine Situation zwischen Stagnation und Rezession. Gerade einmal 0,2 Prozent Wachstum hat der Internationale Währungsfonds für das aktuelle Jahr prognostiziert. „Wir blicken auf magere Jahre, auch mittelfristig ist keine wirkliche Besserung in Sicht“, sagt Bubel. Grund dafür sind unter anderem schwierige Rahmenbedingungen im Land: hohe Energiepreise, hohe Arbeits- und Lohnnebenkosten, hoher bürokratischer Aufwand, massiver Fach- und Arbeitskräftemangel.
„Wir wünschen uns eine Angebotspolitik, die Rahmenbedingungen schafft, mit denen es sich lohnt, neue Produkte zu entwickeln und an den Markt zu bringen“, sagt der ME-Saar-Präsident. „Dazu benötigen wir geänderte Abschreibungsregeln und eine Steuerbelastung, mit der sich Investitionen schneller rechnen.“ Die ersten Schritte im Wachstumsbeschleunigungsgesetz gingen in die richtige Richtung, reichten aber nicht aus, sagt er. Weitere Forderungen sind ein umfassender Bürokratieabbau und eine Reform des überholten Arbeitszeitgesetzes.
Ähnlich äußerte sich Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf in seiner Festrede. Unter dem Titel "Keine Zeitenwende ohne Wirtschaftswende" forderte er, dass aus dem politischen Wollen mehr politisches Machen wird. Stattdessen allerdings erlebe die Wirtschaft, dass ihr immer mehr Steine in den Weg gelegt würden. "Statt die Defizite des Standorts anzugehen und eine wirksame Angebotspolitik zu gestalten, feuert die Politik ein Regulierungs- und Bürokratiefeuerwerk nach dem anderen ab", sagte er.
Wolf forderte eine Metalitätswende. "Allen muss wieder klar werden, dass der Wohlstand erst einmal erwirtschaftet werden muss. Bevor Steuergeld ausgegeben wird, muss es verdient werden."
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Faktor Standortattraktivität
Bürokratie wird zur Belastung
938 Betriebe hat Gesamtmetall für seine Bürokratieumfrage im Oktober 2023 befragt. Die Ergebnisse sind eindeutig. Wenn Deutschland hier nicht gegensteuert, wenden sich zunehmend Unternehmen vom Standort ab. Die Politik muss dringend handeln.