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Interview: Wir brauchen gute Startbedingungen für den Aufbau

Hauptgeschäftsführer Martin Schlechter über die Situation nach Corona

Herr Schlechter, Corona bestimmt aktuell unser gesamtes Leben. Aber noch vor wenigen Monaten haben ganz andere Themen die Schlagzeilen beherrscht. Einmal der Handelskrieg zwischen den USA und China, dann der noch immer nicht vollzogene Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Haben sich diese Themen jetzt erledigt?

Absolut nicht. Sie sind nur durch Corona etwas in den Hintergrund geraten. Das heißt jedoch nicht, dass sie nach dem Abflauen der Corona-Krise nicht auch wieder an Bedeutung gewinnen. Allerdings ist noch völlig offen, wie sie sich dann darstellen werden. Die USA und Großbritannien werden wegen ihres spezifischen Gesundheitssektors von dem Virus sehr stark getroffen. Der Shutdown kam in beiden Ländern spät und könnte die Wirtschaft nun umso härter treffen. China wiederum scheint die Ausbreitung des Virus schneller eingegrenzt zu haben und hat seine Wirtschaft früher wieder an den Start gebracht. All das wird Auswirkungen auf die künftigen wirtschaftspolitischen Machtverhältnisse haben. Ein Unsicherheitsfaktor ist aber auch die Persönlichkeitsstruktur des amerikanischen Präsidenten. Gerade in einer Schwächephase könnte es sein, dass er seine „America First“-Strategie noch verstärkt, statt auf die Volkswirtschaftler zu hören. Die raten in der aktuellen Situation dazu, Handelsschranken zu senken, um dem Welthandel neuen Schwung zu verleihen.

Wie sieht es mit dem Thema Brexit aus?

Der Austritt des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Gemeinschaft bleibt weiter das große ungelöste Problem Europas. Angesichts der Corona-Entwicklung ist es völlig offen, ob es wie geplant bis Ende 2020 gelingen kann, die nötigen Abkommen zu verhandeln, um auch für die Zeit nach Ablauf der Übergangsfrist einen geordneten Wirtschaftsverkehr mit dem britischen Nachbarn zu gewährleisten.

Die Regierungen reagieren aktuell mit Milliarden-Hilfspaketen, um die Wirtschaft zu stabilisieren und Entgeltausfälle zu kompensieren. Was bedeutet das für die Zukunft?

Dass die Regierungen jetzt alles tun, um den Schaden durch Corona so gering wie möglich zu halten, ist gut und richtig. Trotzdem ist jetzt bereits abzusehen, dass wir weltweit eine starke Rezession bekommen werden. Das trifft hoch entwickelte Nationen wie Deutschland stark, wir werden das aber noch deutlich besser bewältigen können als Entwicklungsländer, in denen die Krise auf ein ganz anders ausgeprägtes Gesundheitssystem und eine fragile Wirtschaftsstruktur trifft. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Shutdown in den Industrienationen für große Not auch in den Entwicklungsländern sorgt, wenn durch unseren Konsumstopp dort Fabriken schließen und Arbeit wegfällt. Den aktuellen Milliarden-Hilfspaketen müssen deshalb noch einmal spezielle Hilfspakete für diese Regionen folgen, wollen wir dort die Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen und damit letztlich auch unsere globalisierten Lieferketten gefährden.

Globalisierung ist ein gutes Stichwort. Sie ist in der Krise von vielen hinterfragt worden, weil gerade die Abhängigkeit von China zu einem Einbruch der Lieferketten geführt hat.

Es ist richtig, dass die enge Abhängigkeit von China die Lieferketten während des dortigen Ausbruchs der Corona-Epidemie stark belastet hat. Das ändert aber nichts daran, dass Globalisierung grundsätzlich die beste Wirtschaftsform ist. Denn die Arbeitsteilung, die sich daraus ergibt, sichert Wohlstand und Entwicklungspotenzial für alle Beteiligten. Gleichzeitig können wir davon ausgehen, dass Unternehmen und Staaten in kritischen Bereichen nun Doppelstrukturen aufbauen werden, um beim Ausfall eines Lieferlandes noch weitere Bezugsmöglichkeiten für wichtige Materialien zu behalten.

Allgemein ist von der Zeit des Neustarts nach der Virus-Krise die Rede. Aber ist es denn gerade der M+E-Industrie möglich, jetzt mit voller Kraft durchzustarten? Schließlich kommt gerade diese Branche doch erst aus einer Schwächephase.

Um einen Ausblick für die M+E-Industrie nach der Corona-Krise zu wagen, ist es sinnvoll, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Schon vor der Virus-Pandemie hat sich eine Schwächephase angekündigt. In der Metall- und Elektroindustrie gehen schon seit dem Frühjahr 2019 die Produktionszahlen zurück. Während die Gesamtwirtschaft in Deutschland im vergangenen Jahr noch ein leichtes Wachstum erreicht hat, befand sich die M+E-Branche bereits in der Rezession. In Zahlen heißt das, dass die Produktion 2019 um über fünf Prozent gesunken ist. Und die Auftragseingänge, also die Produktion von morgen, sind sogar um 6,1 Prozent zurückgegangen.

Das heißt, Corona ist nun ein zusätzlicher Schock in einer schon schwierigen Situation?

Corona kommt in einer Zeit, in der die Unternehmen sich eigentlich mit ganz anderen Problemen befassen müssten. Denn die gesamte Branche steht vor zwei großen Herausforderungen, dem Strukturwandel und der Digitalisierung. Weil sich in der Automobilindustrie mit neuen Antriebsarten und dem Trend zum autonomen Fahren die Rahmenbedingungen ändern, gerät bei vielen Unternehmen das Geschäftsmodell ins Wanken. Und eine zunehmende Konsumzurückhaltung, vor allem im wichtigen Absatzmarkt China, hat die Lage noch verschärft, weil Aufträge verloren gegangen sind. Dass die Lage schwieriger geworden ist, haben wir schon im vergangenen Jahr an den Arbeitsmarktzahlen gesehen. Im Mai 2019 haben die M+E-Unternehmen in Deutschland zum ersten Mal seit neun Jahren die Zahl ihrer Mitarbeiter reduziert. Seitdem folgen Monat für Monat im Schnitt etwa 3000 Stellenstreichungen. Und schon im November waren 80.000 Mitarbeiter der M+E-Branche in Kurzarbeit. Das Saarland war von dieser Entwicklung überdurchschnittlich stark betroffen. Gerade weil es hierzulande viele Automobilzulieferer gibt, spüren saarländische Unternehmen unmittelbar, wenn Kunden weltweit weniger Autos kaufen.

Strukturwandel und Digitalisierung bleiben aber auch weiterhin ein Thema. Wie können die Unternehmen diese Entwicklungen jetzt angehen?

Das wird tatsächlich neben den Corona-Folgen das wichtigste Thema der M+E-Industrie werden. Und auch das schwierigste. Denn für den Strukturwandel sind Milliardeninvestitionen nötig, die schon vor Corona eine große Herausforderung für die Unternehmen waren. Für viele Unternehmen gerade in der Autoindustrie gilt es, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, wenn bisher erfolgreiche Strategien wegfallen. Nehmen wir all die Autohersteller und Zulieferer, die bisher vor allem Komponenten für den Verbrennungsmotor produziert haben. Sie brauchen neue Produkte, wenn sie auch weiterhin ihre Mitarbeiter in Beschäftigung halten wollen. Dafür sind Entwicklungsarbeit und hohe Investitionen notwendig. Und es ist auch nicht möglich, statt Verbrennungsmotoren einfach Teile für das E-Auto herzustellen. Allein schon, weil der Antrieb dort weniger komplex ist.

Nun gibt es Experten, die davon ausgehen, dass der Verbrennungsmotor gar nicht so schnell verschwindet – und das E-Auto sich vielleicht auch gar nicht durchsetzt.

Auch diese Unsicherheit, wie schnell der Wandel gehen wird, ist für die Unternehmen ein Problem. Tatsächlich ist es ja so, dass moderne Verbrennungsmotoren bei der Umweltbilanz häufig besser abschneiden als vergleichbare E-Autos. Aber selbst, wenn der Verbrennungsmotor durch neue Antriebstechniken ergänzt wird, ist ja die Frage, ob es beispielsweise  sinnvoll ist, Milliarden in neue Anlagen für die Produktion von E-Autos zu investieren, wenn Autos künftig vielleicht vor allem mit Wasserstoff oder E-Fuels fahren. Wenn Unternehmen jetzt alles auf eine Karte setzten und falsch entscheiden, kann es auch die letzte Entscheidung gewesen sein. Gleichzeitig ist es noch teurer, parallel mehrere Wege zu beschreiten. Das ist das Dilemma, vor dem alle Firmen jetzt stehen, die sich im Automotive-Bereich bewegen. Von den Entwicklungen zum autonomen Fahren, das ja auch Einfluss auf die Technik hat, noch ganz zu schweigen.

Ein gutes Stichwort, denn autonomes Fahren hat ja auch mit Digitalisierung zu tun, dem zweiten Megatrend, dem sich Unternehmen ausgesetzt sehen.

Digitalisierung ist tatsächlich ein Thema, das alle Unternehmen trifft. Wir beobachten auf allen Ebenen, dass Computer zunehmend auch in der Produktion dominieren. Industrie 4.0 ist längst nicht mehr nur ein Schlagwort, sondern in vielen Unternehmen Realität. Und die Möglichkeit, firmeneigene 5G-Netze aufzubauen, ermöglicht eine umfassende Vernetzung der intelligenten Maschinen. Das bringt aber auch große Veränderungen für den Arbeitsalltag mit sich. Die Anforderungen an die Beschäftigten steigen, Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter umfassend schulen, damit diese auf dem Weg in die digitale Zukunft nicht stehenbleiben. Sicherlich wird es in diesem Zusammenhang auch Änderungen in den Belegschaftsstrukturen geben. Allerdings ermöglicht es Digitalisierung auch, durch Assistenzsysteme geringer Qualifizierte in den Produktionsprozess einzubinden.

All das erfordert finanziell stabile Unternehmen. Nun wird in der Politik diskutiert, ob der Staat nicht mit Beteiligungen bei finanzschwachen Unternehmen einsteigen soll, um diese zu stützen. Ist das der richtige Weg?

Ich halte den Weg für gefährlich. Es ist sinnvoll, die größten Härten beispielsweise mit Kurzarbeitergeld und maßgeschneiderten Krediten abzufedern. Eine Staatsbeteiligung dagegen halte ich im Wandel, den die Unternehmen durchlaufen müssen, für kontraproduktiv. Die Politik wird nicht zustimmen, Werkteile zu schließen, wenn diese nicht mehr zukunftsfähig sind. Sie folgt erfahrungsgemäß eher den Gewerkschaften und wird alles dafür tun, Arbeitsplätze zu sichern, auch wenn das betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll erscheint.

Was sollte die Politik denn stattdessen tun?

Im Rahmen einer Krise ist es die oberste Priorität, die Unternehmen zu stabilisieren. Das hat die Politik schnell und entschlossen getan. Nach der Krise muss im Vordergrund stehen, die Wirtschaft dadurch wieder zum Laufen zu bringen, dass gute Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jetzt ist der passende Moment, um all die Hindernisse, die seit Jahren wirtschaftliches Handeln in Deutschland bremsen, aus dem Weg zu räumen.

Was meinen Sie damit konkret?

Vordringlich gilt es, endlich den lange versprochenen Bürokratieabbau voranzutreiben. Egal, ob Sie eine neue Werkhalle planen, ob eine Stromleitung verlegt oder eine Straße gebaut werden soll – Planungsprozesse kommen wegen überbordender Bürokratie nicht vo­ran. Deshalb ist die Politik jetzt gefragt, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dazu gehört zum Beispiel auch, die mittlerweile völlig überzogenen Brandschutzauflagen zu überarbeiten. Ein weiterer Punkt ist das Arbeitszeitgesetz, das in seiner aktuellen Form nicht mehr unserer modernen Arbeitswelt genügt. Arbeit fällt doch längst nicht mehr in einem strengen Acht-Stunden-Korsett an, sondern wird – auch von den Arbeitnehmern – viel flexibler gehandhabt. Es kann einfach nicht sein, dass ich abends noch eine E-Mail lese und dann eine elfstündige Ruhezeit einhalten muss.

Und welche Finanzhilfen wären letztlich sinnvoller als eine Staatsbeteiligung?

Die Politik hatte ja bereits eine Unternehmenssteuerreform diskutiert. Würde diese nun umgesetzt, würde das die Investitionskraft aller Unternehmen stärken. Gleichzeitig sollte auch das Steuerrecht entschlackt und von zahlreichen Sondervorschriften befreit werden. Wenn die Unternehmen jetzt ihre Energie in den Wiederaufbau stecken müssen, sollten sie von einem funktionierenden Staat mit schlanken Regeln unterstützt werden. Um den Konsum anzukurbeln, wäre es jetzt richtig, dass auch die Bürger wieder mehr Geld zur Verfügung haben. Zwei Schritte sind dafür sinnvoll: Einmal sollte die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags vorgezogen werden, zum anderen könnte die Mehrwertsteuer gesenkt werden. Durch den zweiten Schritt würden auch kleine und mittlere Unternehmen entlastet, die durch die Krise besonders getroffen sind.

In der Finanzkrise hat die Politik die Abwrackprämie eingeführt? Wäre so etwas auch sinnvoll?

Sicherlich ist es auch ein Ansatz, den Konsum wieder anzukurbeln. Wie genau das ausgestaltet werden sollte, ist von der Situation abhängig. Aktuell haben wir ja keine Nachfrage-, sondern eine Angebotskrise. Deshalb ist für mich ein Schritt wie in den USA, einfach Geld zu verteilen, nicht zielführend.

Wie bewerten Sie die Situation speziell der saarländischen Wirtschaft in dieser Krise?

Für die saarländischen Unternehmen mit ihrer starken Fokussierung auf das Auto und ihre hohe Exportlastigkeit werden die kommenden Monate zu einer besonderen He­rausforderung. Umgekehrt habe ich großes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen. Das Saarland hat in der Vergangenheit viele Transformationsprozesse durchlaufen. Von der verspäteten Eingliederung in den deutschen Wirtschaftsraum über die Stahlkrise bis zum Ende des Bergbaus. Wirtschaft bedeutet auch Transformation und da haben sich unsere Unternehmen immer bewährt. Ich denke, das wird ihnen auch jetzt gelingen.