Jedes Unternehmen hat seine Geschichte(n)

Sie stehen für den größten Teil der deutschen Industrie, sind Jobmotor und Beschäftigungswunder: die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Sie und ihre Mitarbeiter sind das Herz der deutschen Wirtschaft.

Die Unternehmen der M+E-Branche sind als die deutsche Schlüsselindustrie Garant für den Wohlstand in unserem Land. Sie sind Ausbildungsbank und Ideenschmiede, schaffen Chancen und bieten Sicherheit.

Keine andere Branche in Deutschland hat eine vergleichbare Bedeutung für Wachstum und Wohlstand in unserem Land. Die M+E-Unternehmen produzieren Technik für die ganze Welt –Tag für Tag, mit hochmodernen, sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen. Neun von zehn der 3,7 Millionen Arbeitsplätze der Branche in Deutschland sind unbefristete Vollzeitstellen. Wir sind stolz auf unsere Produkte, auf die Leistung unserer Mitarbeiter, auf den Ruf unserer Branche. Wer etwas leisten will, ist bei uns willkommen, egal wer, egal woher. Für uns ist Arbeit nicht nur unser täglich Brot - sie hält unseren Puls am Schlagen. Wir bejahen internationalen Wettbewerb, denn wir sind überzeugt, dass sich die Qualität unserer Produkte weltweit durchsetzt.

Auf diesen Seiten stellen wir Projekte und Entwicklungen aus Unternehmen unserer Branche im Saarland vor.

Kein Schluss mit Guss

Siegfried Ruser arbeitet auch mit weit über 70 noch in der Martin Luck Metallgießerei

Siegfried Ruser klaubt Förmchen aus seinem Sandkasten, ein rotes, ein grünes, ein gelbes. Am Tag zuvor war Familienfest bei der Martin Luck Metallgießerei GmbH in Saarbrücken, und die kleine Tochter eines Mitarbeiters hat auf dem hellbraunen Hügel gespielt, der rechts in der Werkhalle aufgeschüttet ist. Also fördert Siegfried Ruser, den hier alle Mecki nennen, nun unter dem Gelächter der Umstehenden immer wieder Plastikspielzeug zutage.

Sonst nutzt eigentlich nur Mecki diesen Natursand, vielleicht zwei Kubikmeter feinsten Mutterboden aus Bayern, wegen des Lehmanteils, der ihn schön fest macht. Vorsichtig füllt der 74-Jährige Schippe um Schippe in einen Gusskasten, um ein Handwerk zu demonstrieren, das er schon beherrscht hat, als das Saarland noch französisches Protektorat war: das Handformen. Der kleine Mann mit dem kleinen Oberlippenbart und den kleinen Schritten ist der Veteran im Betrieb, er ist die gute Seele und ein schüchterner Lehrer, der seine Gießerei-Erfahrungen an die nächste und die übernächste Generation weitergibt. Erfahrungen aus 60 Jahren Arbeitsleben.

„Wenn was zu machen ist, komme ich“

„Zwischendrin habe ich 15 Monate gedient“, fällt ihm als eine der wenigen Unterbrechungen ein. Ende der 50er muss das gewesen sein, im ersten Wehrpflichtigenjahrgang des Saarlands, nachdem es 1957 der BRD beigetreten war. Abgesehen davon: 50 Jahre Vollzeit bei der Martin Luck Metallgießerei, zeitweise sechs Tage die Woche, bis zur Rente vor zehn Jahren, danach „zwei Jahre so, dass ich jeden Tag gekommen bin“. Und auch seitdem mindestens einen Tag pro Woche. „Wenn was zu machen ist, rufen sie an, und dann komme ich“, sagt Mecki. Nicht weil er muss, sondern weil er will: „Hauptsächlich, wenn was in Natursand zu formen ist.“ Heutzutage bringe man das den Azubis ja nicht mehr so bei. Als er aber Lehrling war, weit vor dem maschinellen Guss – da war das Ausbildungsinhalt.

Mecki ist der erste aus der Familie Ruser, der nicht Bergmann wurde: „Edmund Schorr, der damalige Vorarbeiter bei Luck, war ein Cousin meiner Mutter und hat direkt neben meiner Oma gewohnt. Die hat ihn dann gefragt, ob sie hier Lehrbuben nehmen.“ Angesichts des späteren Niedergangs im saarländischen Bergbau eine weise Entscheidung. So hat sich Mecki für einen Ausbildungsplatz in einer der wenigen deutschen Nichteisen-Metallgießereien entschieden. Und schon der Beginn der Ausbildung sagt etwas über seine Begeisterung und Arbeitseinstellung: Am 5. Oktober 1953 sollte es losgehen, am 3. Oktober hätte er für sechs Wochen an die Côte d’Azur fahren können, organisiert von den Saarbergwerken, dem Arbeitgeber seines Vaters. „Aber da war ich als Zwölfjähriger schon und habe deshalb gesagt, ich verzichte und gehe lieber arbeiten.“ Wie die Lehrjahre gewesen seien? „So schlimm war das gar nicht.“

Vom Kunst- zum Industrieguss

In den Jahrzehnten seither hat er tausende Teile gegossen. Bronzefiguren der Saarländer Künstler Hans Schröder und Werner Bärmann etwa, manche meterhoch und zentnerschwer. Außerdem Brunnen, Ornamente für Grabsteine und Mahnmale, Glocken, Madonnen – alles in Bronze gefertigt –, aber auch Massenware wie Plaketten für Gasflaschen. „Mitte der 70er ist hier die maschinelle Fertigung eingezogen“, erzählt Firmeninhaberin Ursula Kilburg, und fügt lächelnd hinzu: „Da hatte mein Vater die Nase voll von diesen Künstlern.“ Die 48-Jährige führt das Familienunternehmen in fünfter Generation, Mecki war schon da, als sie als Kind durch die Werkhalle lief.

Kilburg beschreibt den Wandel, der auch an ihrem erfahrensten Mitarbeiter nicht spurlos vorbeigegangen ist: Früher war Luck mehr auf Kunstguss spezialisiert, auf individuelle Formen, aufwändig hergestellt. Auf Dauer konnten Industrieguss und Kunstguss allerdings nicht parallel gleichermaßen betrieben werden.  „Mit den Künstlern ließ sich zwar auch Geld verdienen, aber in der Industrie fängt das Leben morgens um 5, 6 an. Und dann kommt so ein Künstler um 17 Uhr, wenn die anderen endlich mal nach Hause gehen wollen ...“ Aus diesem Grund entschied sich Ursula Kilburgs Vater Jürgen in den 70er Jahren für den Industrieguss. Dieser hat den Kunstguss inzwischen weitestgehend verdrängt, den Hauptteil des Umsatzes machen die 20 Mitarbeiter heute mit Lagerschalen und Buchsen aus allen gängigen Kupferlegierungen, die unter anderem in riesigen Baggern verbaut werden.

„Der Mensch gießt besser als die Maschine“

Natürlich habe er die auch gießen müssen, sagt Mecki. „Aber das habe ich nicht gerne gemacht. Ich mache alles von Hand, das war immer schon mein Hobby. Der Mensch gießt besser als die Maschine.“ Die gelbe Sandmischmaschine immerhin hat er akzeptiert, sie nimmt ihm lästige Vorbereitung ab, indem sie Quarzsand, Binde- und Härtemittel automatisch vermengt, wo man früher den Messbecher brauchte. Mit den großen Schleudergussmaschinen jedoch, in denen die Buchsen durch Zentrifugalkraft entstehen, hat er sich nie so richtig angefreundet. Das mag auch daran liegen, dass er sich beim Beladen einmal schwer verletzt hat.

Kaum sichtbar humpelt er heute noch, was ihn nicht davon abhält, wenn nötig die Leiter ins Modelllager zu erklimmen. Viele Worte verliert er darüber nicht, wie er überhaupt sehr leise auftritt, als hielte er jede Anerkennung für unangemessen, als wäre die Tatsache, dass er noch hier ist, eher banal als bemerkenswert. Umsichtig und routiniert versieht er seine Arbeit. Holt die Formkästen und die Modelle, füllt die Kästen, legt erst das Modell eines sich streckenden Dackels hinein, später wird er noch einen kleinen Fußballer gießen. Drückt den Sand fest, damit er kein Metall aufsaugt, streut Trennmittel darauf, damit Unter- und Oberkasten sich nach dem Guss gut trennen lassen. Nimmt das Modell heraus, repariert die Konturen der entstandenen Gussform. Setzt Gusskanal und Anschnitte in den Sand, über die sich das flüssige Metall in der Form verteilt. Mit seinen handwerklichen Fähigkeiten ist Mecki inzwischen ein Exot, eine willkommene Ergänzung für das Angebot der Martin Luck Metallgießerei. „Ich kann immer noch mit dem punkten, was Mecki kann“, sagt Kilburg. „Aber ich finde es total schade, dass dieses Kunst-Handwerk ausstirbt.“

Ein wenig hinauszögern lässt sich das Ende allerdings noch. Mecki hat Schüler, vielversprechende und hoffnungslose. „Wer Lust hat, wer Interesse hat, dem bring ich’s bei. Manche gucken und meinen, dann könnten sie’s. Und manchen ist nicht zu helfen.“ Sein Sohn etwa war Ende der 80er der letzte Lehrbub bei Luck. „Dem habe ich das Handformen beigebracht, für alles Weitere ist er dann in einen anderen Betrieb gegangen.“ Gießereileiter Jens Reuß hat sich einiges von Mecki zeigen lassen, auch die Firmenchefin hat neulich zum ersten Mal in der Produktion hospitiert und kommt im Herbst erneut, um im Sandkasten zu arbeiten.

Der Lehrer und seine Schülerin

Die spannendste Paarung aber ist die zwischen dem 74-Jährigen und dem anderen Extrem im Betrieb: der 22-jährigen Ines Blatter. An der Universität des Saarlandes studiert sie Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, ist im Februar 2014 für ein Praktikum zur Martin Luck Metallgießerei gekommen und hängengeblieben. „Mir hat die Theorie immer viel Spaß gemacht“, sagt sie. „Seit ich hier bin, macht es mir auch wahnsinnig viel Spaß, mit den Händen zu arbeiten.“ Sie hat mal „Schüler experimentieren“ auf Landesebene gewonnen und ist beim Landeswettbewerb von „Jugend forscht“ auf dem Treppchen gelandet – mit einer Arbeit über Kunststoff. „Aber bei uns am Lehrstuhl heißt es immer: Wer Plastik kennt, nimmt Metall.“

Mittlerweile ist Blatter tageweise in den regulären Schichtbetrieb eingebunden. Sie arbeitet an den Schleudergussmaschinen genauso wie mit Mecki an seinen Formen und hat den Männern beigebracht, dass man ihr nicht helfen muss, bloß weil sie die erste Frau in der Fertigung ist. Wie sie da neben Mecki vor dem Sandhaufen steht und ihm ab und an wortlos einen Arbeitsschritt abnimmt, strahlt das eine große Vertrautheit aus, miteinander und mit den Abläufen. „Wenn man kommt und nachfragt, dann erklärt er einem alles“, sagt Blatter. Während des Praktikums hat er ihr das Formen beigebracht, eine Eule haben sie zusammen geformt, eine Madonna dann die Nachwuchsformerin alleine.

Dass sie hier so nahe dran ist am Produkt und an den Prozessen, werde ihr später helfen, sagt Blatter. Nach Bachelor und Master will sie eine Ingenieurin sein, die nicht nur theorieschwangere Berechnungen anstellt. Sondern die auch weiß, wie es in der Werkhalle zugeht. „Manche Anordnungen, die in der Theorie vollkommen stimmig sind, sind in der Praxis nicht umsetzbar“, sagt sie. Dann wird sie auch viel über Erfahrung und Intuition gelernt haben, darüber, dass der Sand für die Gussformen nicht nur kurz mit dem Brenner erwärmt werden darf, sondern richtig durchgetrocknet sein muss. Oder dass „die Alubronze gut ist, wenn die Sonne aufgeht“, wenn also der Schatten des glühenden Materials an der Decke überm Schmelzofen nicht mehr tieforange, sondern weißorange wie im Morgengrauen ist.

Bei der Martin Luck Metallgießerei hat sie jedenfalls gute Aussichten, so sie denn will. Und vielleicht wird dann sogar Mecki noch hier sein. Er entscheide von Tag zu Tag, sagt er. Es könnte morgen Schluss sein, es könnte fünf Jahre weitergehen. Kaum zu glauben, dass eines Tages nur noch Kinder in seinem Sand spielen werden.

Text: Nicolas Schöneich; Fotos: Jan Michael Hosan