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11. Arbeitswissenschaftliches Forum von M+E MITTE

Mehr als 320 Anmeldungen verzeichnete das 11. Arbeitswissenschaftliche Forum der M+E Verbände von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland am 12. März in der Opel-Arena in Mainz. „ARBEIT IM WANDEL – Herausforderung Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsablauf“ lautete die Überschrift dieser von engagierten Vorträgen und Diskussionen gekennzeichneten Veranstaltung. Referenten aus Wissenschaft und Betriebspraxis gaben Einblicke ins Thema. Die Zuhörer gewannen umfassende Eindrücke über Wege, mit denen Unternehmen Veränderungen hin zu mehr Flexibilität auf den Weg gebracht haben.

Veranstalter waren die Verbandsingenieure Wolfgang Kohler, zuständig für Arbeitsgestaltung und Betriebsorganisation beim Verband der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes e. V. (ME Saar), Ralf Mertel, Verantwortlicher für Betriebsorganisation und Entgeltgestaltung beim Verband der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie e. V. (PfalzMetall), Nikolaus Schade, Leiter Arbeitswissenschaft beim Verband der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen e.V. (Hessen Metall) sowie Stephan Wüst, vem.die arbeitgeber e.V. Dieser vertrat Rainer Schleidt, Geschäftsführer Arbeitswissenschaft & Bildung, vem.die arbeitgeber e.V.

Bilanz der Forum-Veranstalter

Kohler: „Die Veranstaltung hat über die Berichte der Betriebspraktiker einen umfassenden Einblick in den vielfältigen Prozess der zeitlichen und räumlichen Flexibilisierung von Arbeit gegeben. Beispielhaft zeigte der Vortrag von Kerstin Schiebelhut von der Schaeffler Technologies AG & Co. KG, wie komplex es sein kann, das Arbeitsaufkommen an rasch wechselnde Kundenbedürfnisse anzupassen. Zwischenzeitlich musste hier eine Einigungsstelle angerufen werden.

Der Konfliktschlichter Roland Lukas demonstrierte in seinem Beitrag über die Einigungsstelle, wie es gelingen kann, zwischen den Betriebsparteien festgefahrene Veränderungsprozesse wieder in Bewegung zu bringen. Im Vordergrund stehen für ihn Konfliktlösungen, die beide Seiten nicht nur rational, sondern auch emotional zufriedenstellen.“

Schade: „Dirk Siebels von der Continental AG machte deutlich, dass der Beschäftigten-Wunsch nach mehr Flexibilität bei der Arbeit, den wir als Verbandsingenieure in unserer Beratung von Betrieben wahrnehmen, auch international wächst. Die Mitarbeiter organisieren sich auch in Ländern, die Unternehmen nicht zuletzt wegen der dort günstigen Arbeitskosten angesteuert hatten. Auch dort kommen Forderungen auf, die die Arbeitsbedingungen und das Entgelt betreffen. Auch in Osteuropa und in Mexiko gibt es in bestimmten Branchen Arbeitskräftemangel und hohe Fluktuation. Auch hier haben Unternehmen begonnen, sich auch durch flexible Arbeitsbedingungen als Arbeitgeber zu empfehlen. Das Beispiel Conti zeigte: Employer-Branding auf der Suche nach knappen Fachkräften ist längst international gefordert.“

Mertel: „Das Beispiel des Windkraft- und Solaranlagenherstellers juwi AG hat gezeigt, wie weit Flexibilisierung zeitlich und räumlich gehen kann. Zwischen Büro und Home-Office wird hier kein Unterschied mehr gemacht. Alle Mitarbeiter sind mit Laptops ausgestattet. Über Wertkonten werden Sabbaticals ermöglicht und von Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Unternehmen nachgefragt.

Die Tarifpartner in der Metall- und Elektroindustrie gehen auf die veränderten Bedürfnisse der Beschäftigten und Unternehmen mit dem in 2018 abgeschlossenen neuen Tarifvertrag T-ZuG ein, den Dr. Hagen Lesch vom IW Köln neben Modellen aus anderen Branchen vorstellte. Damit wurde eine neue Flexibilität beim Arbeitszeitvolumen eingeführt. Die Betriebe können mehr Arbeitsverträge mit ausgeweiteter Arbeitszeit vereinbaren, die Beschäftigten haben im Gegenzug die Möglichkeit, Arbeitszeitreduzierungen zu fordern. Allerdings vergisst die IG Metall bisweilen den Kapazitätsausgleich, der den Unternehmen dafür zusteht.“

Kohler: „Wenn man dieses 11. Arbeitswissenschaftliche Forum in Summe betrachtet, sieht man die breite Palette von Flexibilität in mittelständischen Unternehmen mit und ohne Tarifbindung ebenso wie in international agierenden Konzernen wie Continental. Mit dabei waren Unternehmen mit einem langjährig etablierten und engagierten Betriebsrat ebenso wie solche, die erst seit kurzem eine Mitarbeitervertretung haben. Allen gemeinsam ist, dass sie vor der Herausforderung „mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit“ stehen.

Dr. Hagen Lesch zeigte, dass dies nicht M+E-spezifisch ist, sondern dass andere Branchen dieses Thema ebenfalls auf der Agenda haben und entsprechend handeln. Gewerkschaften kanalisieren den Wunsch der Beschäftigten als Sprachrohr – und die Tarifpartner finden geeignete Lösungen dafür. Geschäftsführungen werden sich dem Wunsch der Basis stellen müssen. Dieses elfte arbeitswissenschaftliche Forum von M+E MITTE bot viele Anregungen dafür, wie dies geschehen kann. Anders als frühere Veranstaltungen haben wir bewusst darauf verzichtet, die jeweiligen Arbeitszeit- und Schichtmodelle im Detail vorstellen zu lassen. Denn wir wollten, dass die Vortragenden Einblicke in Methoden und Prozesse geben, wie Veränderungen in Unternehmen auf den Weg gebracht und letztlich erfolgreich eingeführt werden können.“

Wüst: „Auch die Kommunikation verändert sich auf dem Weg zu mehr Flexibilität. Dirk Siebels von der Continental AG zeigte, dass Unternehmen profitieren können, wenn diese „horizontal“ und nicht mehr allein Top-down verläuft. Veränderungsprozesse lassen sich horizontal kommuniziert besser vorantreiben, wie das Beispiel Continental AG deutlich machte. Zudem gewinnen Unternehmensführungen dadurch wertvolle Anregungen – bei der Continental AG auch Länder - übergreifend. Digitale Kommunikation – zum Beispiel über Videokonferenzen – macht es möglich.

Das Forum machte deutlich, dass Unternehmen die Herausforderung erkannt haben. Doch der Weg hin zu mehr Flexibilität ist noch nicht klar, ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Was braucht man wirklich, und mit welchem Werkzeugen beziehungsweise Apps soll man arbeiten? Wie sorgt man für die erforderliche Anwesenheit? Welche Aspekte des Datenschutzes sind bei digitaler Erfassung zu berücksichtigen? Viele Fragen sind noch offen. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung es neue Chancen.“

Mertel: „Bereits heute gibt es Systeme, die in Echtzeit Kollegen anfragen, wenn ein Mitarbeiter ausfällt. Diese Systeme berücksichtigen dabei automatisch die Qualifikation des Mitarbeiters und auch die Frage, ob er im Rahmen der Arbeitszeitgesetzgebung – Stichwort Ruhezeiten – für einen Einsatz in Frage kommt und dies auch freiwillig tun würden. Schichtgruppen könnten sich über digitale Medien untereinander abstimmen, wer wann frei macht und ihre Arbeitsfähigkeit innerhalb bestimmter Zeitkorridore autark sicherstellen. Das wirft dann aber bereits eine neue Frage auf: Ist es als Arbeitszeit zu werten, wenn ein Mitarbeiter dafür eine Mail oder SMS abruft? Das sind Fragen, die über die Betriebsparteien und Tarifpartner hinaus die Politik zu diskutieren und den neuen Realitäten anzupassen hat.“

Texte und Fotos: Carsten Seim
 

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